Predigt 14. Sonntag im Jahreskreis: „Das hätte ich mir nicht von Dir gedacht!“
Bevor ich anfange, möchte ich Sie einladen kurz zu reflektieren, welche Emotion die Aussage „Das hätte ich mir von Dir nicht gedacht!“ bei Ihnen auslöst. Obwohl es eine in sich neutrale Aussage ist, so wird sie doch zumeist in einem negativen, oft abwertenden Sinn gebraucht. Aber wir können Ihr eine positive Färbung geben, indem wir uns vorstellen, dass wir von einem Menschen positiv überrascht werden, vielleicht sogar von einem Menschen, mit dem wir nicht so gut auskommen.
Das heutige Evangelium fordert mich heraus, mich bewusst mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Jesus nicht gerade bei uns Kirchengängern (ein furchtbares Wort) so wenig Ansehen besitzt wie damals in seiner Heimatstadt Nazareth. Ob also die katholischen Gemeinden nicht jener Ort geworden sind, wo Jesus keine Wunder mehr tun kann, weil wir ihn schon zu gut kennen. Die meisten von uns sind sozusagen mit ihm aufgewachsen. Unsere Großeltern unsere Eltern unsere Pfarrer und unserer Religionslehrerinnen und -lehrer haben uns schon so viel über ihn erzählt, dass wir ihn schon so gut kennen, dass wir ihm nichts mehr zutrauen. Echt!
Überlegen wir uns jedoch zuerst, was da in Nazareth eigentlich passiert ist. So wie auch wir keinen Menschen wirklich kennen (und wenn wir ehrlich sind nicht einmal uns selbst) so haben auch die Einwohner Nazareths Jesus und sich und einander nicht gekannt. Was sie an die Stelle echter Erkenntnis gesetzt haben, war ein Bild dass sie sich gemacht haben. Das ist zunächst einmal nicht nur zutiefst menschlich, sondern sogar notwendig. Mit jedem Augenblick unseres Lebens schaffen wir in unserem Gehirn Repräsentationen der Welt, die uns umgibt. Und auch wenn unser Gehirn ein unglaubliches Wunderwerk ist, so gelingt es ihm doch nicht ein Abbild zu schaffen, dass der Wirklichkeit entspricht. Wir sind darauf angewiesen zu vereinfachen. Und das ist keineswegs böse, wie gesagt, es ist sogar notwendig – aber wir machen uns viel zu selten bewusst, dass wir nur Bilder in unserem Kopf hantieren und dass diese Bilder – so wie es der Dichter Rilke ausgedrückt hat – als Wand zwischen uns und Gott, aber auch zwischen uns und der Nächsten und dem Nächsten stehen.
Es braucht schon ein „Das hätte ich mir nicht von Dir gedacht!“ um diese Wände wieder einzureißen.
Aber seien wir doch auch insofern ehrlich, dass wir es manchmal sind, die diese Wand zwischen uns und Gott ganz bewusst errichten, damit uns Gott nicht in unser Leben hineinredet. Denn dann würde unser Leben wahrscheinlich sehr schnell, sehr kompliziert werden. Ein Beispiel: So viel wir aus dem Evangelium erfahren, war Zachäus nicht verheiratet – es wird zumindest nicht erwähnt. Stellen Sie sich vor, ein Ehemann oder eine Ehefrau – von Gott berührt – kommt auf die Idee die Hälfte des Besitzes zu verschenken …
Aber es gibt nicht nur die Wand unserer Vorstellungen von Gott, sondern auch die unserer Beziehung zu Jesus.
Ich möchte Sie zu einer einfachen Übung einladen (falls Sie diese Übung nicht eh schon kennen und schon öfter gemacht haben): Geben Sie eine Antwort auf die Frage „Wer ist Jesus für mich?“
„Ein besonderer Mensch, ein Religionsgründer, jemand, der Verstanden hat, worauf es im Leben wirklich ankommt, …“ es ließen sich noch unzählige solche Antworten finden, aber mir geht es weniger um die Sachebene als um die Beziehungsebene. Drehen Sie die Fragestellung um: Achten Sie darauf, wie Sie Jesus behandeln, und dann geben Sie ihrer Beziehung zu Jesus einen Namen. Vielleicht kommen Sie drauf, dass Sie immer dann zu Jesus sprechen, wenn Sie etwas von ihm brauchen. Dann sagen Sie doch ruhig: Jesus ist mein Diener. Ist zwar nicht besonders schmeichelhaft für uns, aber wenigstens ehrlich. Und haben Sie keine Angst – Jesus hat Sie jetzt nicht plötzlich weniger lieb, nur weil Sie sich die Wahrheit eingestanden haben. Aber denken Sie daran, dass Sie eines Tages vor ihm stehen werden, und wie es Ihnen dann gehen wird, wenn Sie sehen, dass Sie ihn Ihr Leben lang so behandelt haben. Wahrscheinlich werden sie dann der fleißigste Engel im Himmel werden – auch ein Gewinn für den Himmel – darum: keine Angst.
Aber ich möchte auf ein anderes Szenario hinaus. Wir sind immer noch bei der Fragestellung, ob Jesus in unserem Leben Wunder wirken kann. Nehmen wir an, Sie sagen: Jesus ist mein Freund. Dann möchte ich, dass Sie in einem zweiten Schritt ihre Beziehungen zu anderen Menschen genau unter die Lupe nehmen. Sie könnten zum Beispiel darauf kommen, dass Sie vor den meisten Freunden nicht ehrlich sind, dass Sie besser erscheinen wollen, als Sie sind. Wenn Sie aber vor Ihren Freunden keine Fehler eingestehen können, werden Sie es dann vor Ihrem Freund Jesus tun können? Aber damit Jesus Sie von Ihren Fehlern befreien kann und Sie in Ihren Fehlern stützt, müssen Sie diese vor ihm offen legen und ihn um Hilfe bitten. Oder vielleicht kommen Sie darauf, dass Sie sich von Ihren Freunden nichts sagen lassen. Wie wahrscheinlich ist es dann, dass Sie sich von Jesus etwas sagen lassen werden?
Im Übrigen ist es für meine Überlegungen egal, mit welchem Begriff Sie Ihr Verhältnis zu Jesus beschreiben, denn alle haben Ihre Defizite und nur das möchte ich heute ins Bewusstsein heben. Nehmen wir an, Sie sagen zu Jesus so wie Thomas: „Mein Herr und mein Gott“. Dass habe ich in meiner jugendlichen Begeisterung gerne gesagt (und auch aus tiefsten Herzen) – aber ich hatte in meinem Leben nie einen Herren, was habe ich damit dann gemeint? Damit will ich mich selbst nicht schlecht machen, hoffentlich ist es der tiefen Sehnsucht entsprungen, Jesus wirklich zum Herrn meines Lebens zu machen. Mit meinen vierzig Jahren bekenne ich, dass Gott in meinem Leben immer sehr barmherzig mit mir umgegangen ist. Ich habe den barmherzigen Vater erfahren.
Alle bisher gemachten Überlegungen haben den Sinn uns bewusst zu machen, dass wir uns neu öffnen müssen, wenn wir Gottes Wunder in unserer Welt und in unserem Leben erfahren wollen. Das ist keine Einladung, dass ist eine Aufforderung, denn …
… wenn wir das Evangelium lesen, dann fällt uns auf, dass es einen festen Glauben braucht, damit Gott in das Leben des Menschen eingreift. Dabei kommt es weniger darauf an, dass der/die Empfänger/in der Gnade der/die Bittstellerin ist, sondern dass es Menschen gibt, die an die heilenden Kraft Jesu glauben. Natürlich sind es in vielen Stellen des Evangeliums Menschen, die voll Glaube um Heilung für sich bitten, aber es ist nicht immer so: Denken wir an den Synagogenvorsteher Jairus, der um die Heilung seiner Tochter gebeten hat, oder an den Hauptmann, der für seinen Diener/Sklaven um Heilung bittet. Oder denken wir an die Heilung des Gelähmten. Bei Mk 2,3-5 steht geschrieben:
Da brachte man einen Gelähmten zu ihm; er wurde von vier Männern getragen. Weil sie ihn aber wegen der vielen Leute nicht bis zu Jesus bringen konnten, deckten sie dort, wo Jesus war, das Dach ab, schlugen (die Decke) durch und ließen den Gelähmten auf seiner Tragbahre durch die Öffnung hinab. Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!
Es heißt ausdrücklich: „Als Jesus ihren Glauben sah“ und nicht „Als Jesus seinen Glauben sah“.
Und auch im Evangelium vom vergangenen Sonntag kommt für mich in doppelter Weise zum Ausdruck, wie wichtig eine Atmosphäre des Glaubens für die Heilungen Jesu ist. Die blutflüssige Frau, die den Saum des Gewandes berührt, sie bewegt sich in einer Menge, die Jesus zutraut, die Tochter des Synagogenvorstehers zu heilen. Und in dieser Atmosphäre fasst sie den Mut, Jesus zu berühren und wird geheilt (aufgrund ihres Glaubens, wie Jesus betont). Als aber die Nachricht vom Tod des Mädchens bekannt wird, verlässt die Menge der Glaube an die heilende Macht Jesu – soweit, dass sie ihn sogar auslachen. Und Jesus schickt sie hinaus, er kann diese Atmosphäre des Unglaubens nicht brauchen. Und auch heute war es die Atmosphäre des Unglaubens, aufgrund derer Jesus nur wenige heilen konnte.
Wenn wir einmal sagen wollen: „Das hätte ich mir nicht (von dir) gedacht!“, weil wir Zeugen eines Wunder Gottes geworden sind, dann müssen wir damit beginnen, eine Atmosphäre des Glaubens zu schaffen, in der es für Jesus möglich wird, seine Wunder zu vollbringen. Und dass ist nicht nur Aufgabe jeder Einzelnen und jedes Einzelnen, sondern auch jeder christlichen Gemeinde zusammen. In unseren Gottesdiensten soll spürbar werden: Da sind Menschen zusammengekommen, die trauen Gott zu, in ihrem Leben Wunder zu wirken.
Gelobt sei Jesus Christus!