Erinnerung:
Anna und Steffi waren seit der ersten Klasse Volksschule beste Freundinnen. Sie
mochten sich einfach auf Anhieb und sie taten dieselben Sachen gerne und fanden
meistens die selben Sachen gut oder schlecht. Und weil jede Freundschaft ihre
Rituale braucht, haben auch die beiden ihres gefunden Jeden Freitag abend saßen die
beiden zusammen und aßen eine Pizza gemeinsam. Und obwohl sie sich fest
vorgenommen hatten, dass es jeden Freitag eine andere sein sollte, wurde es fast
immer die einfachste: eine Neapolitana – Pizzateig und Tomatensauce und Mozarella
und sonst nichts. Und die beiden wuchsen heran.
Einmal im Sommer rettete Steffi Anna das Leben – vielleicht. Anna und Steffi
schwammen im Stausee und obwohl beide ausgezeichnete Schwimmerinnen waren,
bekam Anna plötzlich einen Krampf und konnte nicht mehr weiter schwimmen. Steffi
zog Anna ans Ufer, sie machten nicht viele Worte darüber und vielleicht wäre Anna ja
auch allein ans Ufer gekommen. Für Anna war aber gleich klar, dass Steffi sie
gerettet hatte – nicht weil Steffi sie gerettet hatte, war Anna ihr dankbar, sondern weil
Anna dankbar war, war sie auch überzeugt, dass Steffi sie gerettet hatte. Und gerne
hätte Anna das selbe für Steffi getan, wenn sie dazu die Chance bekäme.
Und natürlich aßen die beiden jeden Freitag abend auch weiterhin ihre Pizza
gemeinsam. Nur ihre Themen änderten sich mit der Zeit. Jungs waren plötzlich nicht
mehr ganz so blöd, dafür wurden die Eltern immer komischer.
Dann bemerkte Anna aber eine Veränderung bei Steffi. Steffi war irgendwie ernster
oder trauriger als früher und manchmal sah es so aus, als ob sie ihrer besten Freundin
etwas sagen wollte, aber es nicht konnte. Erst als es sich nicht mehr verbergen ließ,
Steffi nicht mehr in die Schule kam und auch immer eine Mütze trug, weihte sie ihre
Freundin ein. Steffi hatte Blutkrebs und es war nicht sicher, wie lange sie noch leben
würde. Anna hätte gerne ihr Leben gegeben, oder zumindest ihr Knochenmark, auch
wenn sie nicht ganz genau wusste, wozu man das brauchte, aber alle redeten davon,
dass das richtige Knochenmark Steffi retten könnte. Aber aus irgendeinem
verdammten Grund hatte Anna nicht das richtige Knochenmark.
Anna und Steffi sahen sich weiterhin jeden Freitag, oft jedoch im Krankenhaus und
Steffi hatte keine Lust, Pizza zu essen, denn ihr war von den Medikamenten übel.
Und obwohl die beiden hofften, dass noch ein Wunder geschehen würde, wussten sie
auch, dass sie Abschied nehmen würden. Steffi würde dorthin gehen, was die
Christen Himmel nennen, und sie würde auf Anna warten und auf sie hinab schauen
und ihr die Daumen halten und sie trösten und … Das alles versprach Steffi ihrer
besten Freundin. Und Anna versprach, Steffi nie zu vergessen und jeden Freitag Pizza
zu essen, damit sie es auch ja nicht vergaß. Und dann weinten die beiden.
Als Steffi gestorben war, übergab ihre Mutter Anna das Tagebuch ihrer Tochter. Und
immer wenn Anna ihre beste Freundin ganz besonders vermisste, dann las sie in dem
Tagebuch, oder sie sprach einfach mit ihr, so als ob sie ihr gegenüber saß und ihr
immer noch zuhörte.
Und Anna hielt ihr Versprechen. Jeden Freitag bestellte sie sich eine Pizza, von der
sie nur eine Hälfte aß und während sie aß, las sie ein manchmal auch zwei Seiten aus
Steffis Tagebuch. Und sie freute sich, wenn sie sich plötzlich wieder an gemeinsame
Erlebnisse erinnern konnte, die sie schon fast wieder vergessen hatte. Und natürlich
lernte sie ihre Freundin viel besser kennen, weil in dem Tagebuch stand auch so viel
Neues über Steffi drinnen, was eben nur Steffi wissen konnte.
Anna ist jetzt 40 (also schon uralt). Und sie hat jetzt selbst eine Tochter, die schon zur
Volksschule geht. Und am Freitag sitzen die beiden zusammen, der Papa hat dabei
nichts verloren, und essen eine Pizza. Und Anna erzählt ihrer Tochter von Steffi und
von ihrer Freundschaft und sie hofft ganz fest, dass auch ihre Tochter einmal eine
solche Freundin findet, wie Steffi es ihr immer gewesen ist.